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Mittwoch, 20. November 2013

Du sollst nicht...

Wer kennt sie nicht, die 10 Gebote. Und wenn schon nicht alle, dann zumindest "Du sollst nicht töten!" und "Du sollst nicht stehlen!".

Du sollst niemanden verhauen! oder Du sollst keine Frau oder ein Kind vergewaltigen! steht dort nicht! Leider! Derartige Verbrechen waren den Autoren des Alten Testaments wohl nicht schwerwiegend genug. Oder galt es hier, eigene Verbrechen auszuklammern und zu banalisieren? Einige Mitglieder der katholischen Kirche haben in jüngster Zeit diesbezüglich durch eigene Verbrechen ihren Standpunkt deutlich gemacht.

In Hamburg ist es am Wochende wieder passiert. Ein Mann hat ein fünfjähriges Mädchen in seine Wohnung gelockt und brutal mißbraucht.

Für die Vergewaltigung von Kindern sieht das deutsche Strafrecht diese Lösung vor:

§ 176
Sexueller Mißbrauch von Kindern

(1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

Wohlgemerkt, oben genannter Paragraph bezieht sich einzig auf den Mißbrauch. Sicherlich kommen hier noch Körperverletzung, Entführung und Ähnliches hinzu, aber ich bin kein Jurist. Beschränken wir uns hier auf Paragraph 176. Jemand aus Deiner Nachbarschaft entführt Deine kleine Tochter vom Spielplatz vor dem Haus, schlägt und vergewaltigt sie. Die Formulierung "Mißbrauch" empfinde ich persönlich schon als Hohn. Hört man Mißbrauch, fallen einem spontan auch Drogen, Zigaretten und Alkohol ein. Er hat "ES" nicht mißbraucht, ER hat Dein Kind brutal vergewaltigt! Und könnte, nach deutschem Strafrecht, mit einer Bewährungsstrafe davon kommen. Zur Bewährungsstrafe können alle Freiheitsstrafen mit einer Dauer von bis zu zwei Jahren ausgesetzt werden (§56 StGB). ER vergewaltigt Deine Tochter und läuft trotzdem frei rum, so als wäre nichts gewesen. Deine Tochter bleibt für den Rest ihres Lebens traumatisiert.

Vergleichen wir mal:

§ 243
Besonders schwerer Fall des Diebstahls

(1) In besonders schweren Fällen wird der Diebstahl mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1. zur Ausführung der Tat in ein Gebäude, einen Dienst- oder Geschäftsraum oder in einen anderen umschlossenen Raum einbricht, einsteigt, mit einem falschen Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung bestimmten Werkzeug eindringt oder sich in dem Raum verborgen hält,

2. eine Sache stiehlt, die durch ein verschlossenes Behältnis oder eine andere Schutzvorrichtung gegen Wegnahme besonders gesichert ist,

3. gewerbsmäßig stiehlt,

4. aus einer Kirche oder einem anderen der Religionsausübung dienenden Gebäude oder Raum eine Sache stiehlt, die dem Gottesdienst gewidmet ist oder der religiösen Verehrung dient,

5. eine Sache von Bedeutung für Wissenschaft, Kunst oder Geschichte oder für die technische Entwicklung stiehlt, die sich in einer allgemein zugänglichen Sammlung befindet oder öffentlich ausgestellt ist,

6. stiehlt, indem er die Hilflosigkeit einer anderen Person, einen Unglücksfall oder eine gemeine Gefahr ausnutzt oder

7. eine Handfeuerwaffe, zu deren Erwerb es nach dem Waffengesetz der Erlaubnis bedarf, ein Maschinengewehr, eine Maschinenpistole, ein voll- oder halbautomatisches Gewehr oder eine Sprengstoff enthaltende Kriegswaffe im Sinne des Kriegswaffenkontrollgesetzes oder Sprengstoff stiehlt.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1 bis 6 ist ein besonders schwerer Fall ausgeschlossen, wenn sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht.

Fazit: Ein Leben zu zerstören ist bei uns nicht verwerflicher als einen Tresor zu knacken. Man beachte Punkt 4!!!

Montag, 9. September 2013

Desiderata


Gehe gelaſſen inmitten von Lärm
und Haſt und denke daran, wel-
cher Friede in der Stille ſein mag.
Soweit wie möglich verſuche mit
allen Menſchen auszukommen,
ohne dich zu unterwerfen.
Sprich deine Wahrheit ruhig und
klar und höre andern zu, auch
den Dummen und Unwiſſenden,
auch ſie haben ihre Geſchichte.
Vermeide laute und aggreſſive
Personen, sie sind eine Plage für
die Seele. Wenn du dich mit an-
deren vergleichſt, dann magſt du
eitel oder bitter werden, denn es
gibt immer größere und geringe-
re Menschen als du.

Freue dich über deine Erfolge
und Pläne.

Nimm deine Arbeit ernſt, aber
bleibe beſcheiden; es ist ein wirk-
licher Beſitz in den wechſelnden
Geschicken des Lebens. Sei vor-
ſichtig mit geſchäftigen Dingen,
denn die Welt ist voller Liſten.
Aber ſei nicht blind für das Gute.
Viele Menschen ſtreben nach
hohen Idealen und überall ist das
Leben voller Größe.

Sei du selbſt. Beſonders heuchle
keine Zärtlichkeit. Sei aber auch
nicht zyniſch in Bezug auf die
Liebe. Denn angeſichts aller
Trockenheit und Entzauberung
Iſt ſie wiederkehrend wie das
Gras.
Nimm den Rat der Jahre an
und laß mit Anmut die Dinge der
Jugend hinter dir. Nähre die Stär-
ke der Seele, um im plötzlichen
Unglück nicht ſchutzlos zu ſein.
Aber beunruhige dich nicht mit
Grübeleien. Viele Ängſte werden
aus Erſchöpfung und Einſamkeit
geboren.

Abgeſehen von einer geſunden
Disziplin ſei milde mit dir ſelbſt.

Du biſt ein Kind des Univerſums,
nicht weniger als die Bäume und
die Sterne; du haſt ein Recht hier
zu ſein. Und ob es dir klar iſt
oder nicht, kein Zweifel, das Uni-
verſum entfaltet ſich wie es ſoll.

Deshalb ſei in Frieden mit Gott.
Wie immer du ihn dir auch vor-
ſtellſt und was immer deine
Mühe und Ziele ſein mögen in
der lärmenden Verwirrtheit des
Lebens, halte Frieden mit deiner
Seele.

Mit all ihrem Schein, der Plagerei
und den zerbrochenen Träumen
iſt es doch eine ſchöne Welt.

Sei achtſam und verſuche glück-
lich zu werden.




    

Samstag, 7. September 2013

Das ist doch Nazi!

Ich? Ein Nazi? Weil mein Herz für deutsche Literatur und für die Deutsche Schrift schlägt? Weil ich seit der 5. Klasse Deutsche Schreibschrift schreiben kann? Weil ich Wotan heiße?

Über keinen Abschnitt unserer Historie wissen wir mittlerweile soviel, wie über das sogenannte "Dritte Reich". Dank Guido Knopp und seinen Kollegen. Es vergeht nicht ein Tag, an dem man auf den deutschen Doku- und Info- Kanälen keine passende Reportage zu sehen bekommt. Mein seeliger Urgroßvater selbst, hat den Generalfeldmarschall Rommel mit durch die Wüste gekarrt. Und ich wünsche mir so sehr, der Sohn von Herrn Schicklgruber wäre in Österreich geblieben.

12 Jahre! In der mehr als 1000jährigen Geschichte des Deutschen Reiches sind mittlerweile nur noch 12 Jahre von Belang? Die Jahre von 1933 bis zum bitteren Ende 1945. Ich will hier nicht verharmlosen, und ich will auch nicht, daß vergessen wird. Was Millionen Menschen angetan wurde, ist nicht wieder gut zu machen! Die Verbrechen hören aber auch nicht auf. Die USA können es kaum erwarten in Syrien mitzumischen, die Israeli können die Palästinenser nicht in Ruhe lassen, Afghanistan war früher mal ein Land und ist seit Jahrzehnten Schlachtfeld, der Irak kommt nicht zur Ruhe und so weiter und so weiter... Selbst unser Staat schickt wieder Soldaten aufs Schlachtfeld.

Bevor ich mich hier in aktuellen globalen Konflikten verliere, zurück zum Thema. Das dritte Reich ist mittlerweile nur so "erfolgreich", weil es genügend Filmmaterial gibt. Die Deutschen haben das Fernsehen erfunden, der Film selber wurde zu Zeiten von Kaiser Wilhelm II. in Frankreich geboren und in den 1930er und 1940er Jahren konnten sich auch Normalsterbliche eine Filmkamera leisten.

Der Deutschen Schrift dagegen, wurde am 03.01.1941 durch Adolf Hitler persönlich das Grab geschaufelt. Er hat die "Judenlettern" nämlich durch seinen Sekretär Martin Bormann verbieten lassen. Die Alliierten nach dem Krieg verboten sie, weil sie die Deutsche Schrift nicht lesen konnten und haben somit den Sarg der Deutschen Schrift in die Grube gelassen, und die Globalisierung erledigt den Rest. Das Grab zuschaufeln.

Also nichts mit Nazi, im Gegenteil!

Und der arme Wotan? Im Norden nennt man ihn Odin. Unser Mittwoch ist nach ihm benannt. Nicht bei uns, aber bei den Engländern zum Beispiel. Wednesday ist eine Verballhornung für Wotanstag. Wodensday. Wodansday. Uns geblieben sind nur Donarstag (Donnerstag), Zius- oder Tyrstag (Dienstag) und Freystag (Freitag), nicht zu verwechslen mit Freya der Göttin der Liebe. Vermutlich war ursprünglich Wotans Gattin Frigg gemeint, aber wer weiß das schon Q.E.Q.N. Wotan war bis vor über 1000 Jahren hier, und bei den Völkern Britanniens (Grüße von mir!) ein Superstar. Göttervater. König der Götter. Gott des Krieges, Gott der Toten, des Wissens, der Ekstase... Ein Auge hat er geopfert, um alles zu wissen. In die Zukunft sehen zu können. "Schluß mit Q.E.Q.N.!" hat er sich gesagt. Die Schrift hat er uns gegeben. Die geheimnisvollen Runen. Dafür hat er sich sogar selber mehrere Tage erhängt. Bis Bonifatius mit seinen Anhängern kam, die alten Heiligtümer zerstörte und Kirchen darauf baute. Da gab es ja noch nicht einmal ein Deutschland. Noch nicht einmal deutsche Länder. Stämme mit ihren Häuptlingen lebten in unserem Gebiet, welches die Römer Germanien nannten.

Wotan, ein Nazi? Beantworte Dir die Frage selbst.

Dein Wotan ;o)

Freitag, 6. September 2013

Junior und das Wunder des Lebens

Was paßt besser zu  Q.E.Q.N. als die neugierigen Fragen unserer Kinder? Wer selber welche hat, oder andere Kinder gut kennt, weiß, was ich meine. Was? Wieso? Warum?

An einem trüben Nachmittag saß Junior bei mir vor dem Fernseher und zappte sich durch die Programme. Auf den Kinderkanälen kam wohl nichts Gescheites, so daß er sehen wollte, ob auf den Doku- Kanälen etwas Interessanteres läuft. Junior liebt Reportagen. Schließlich gibt es soviel, was wir nicht wissen!

Normalerweise informiert sich Junior im digitalen Programmführer. Er geht jetzt in die zweite Klasse und kann schon gut lesen. Das mit dem Lesen hat allerdings den Nachteil, daß man ihm nicht mehr erzählen kann, die 1743. Wiederholung einer Spongebob- Folge käme gerade nicht. Es gibt aber auch Zeichentrickserien, die bei mir strikt verboten sind. "Cosmo und Wanda" zum Beispiel. Wer das einmal gesehen hat, weiß warum. Und daran hält sich Junior.

Andererseits, darf er mit mir auch Filme und Reportagen sehen, die eher für Ältere gedacht sind. Wichtig dabei ist, daß man sein Kind nicht einfach vor der Glotze parkt und dann sein Ding macht, sondern sich entsprechende Filme gemeinsam ansieht. Das Gesehene erklärt und kommentiert. Schließlich will ein Kind ja nicht nur sehen, sondern auch verstehen.

Ich habe es bisher immer so gehalten, daß, wenn ein Kind etwas von mir wissen wollte, ich seine Frage wahrheitsgemäß beantwortet habe. Bei mir gibt es kein: "Dafür bist noch zu jung!" oder "Das verstehst Du sowieso nicht!" Wenn wir etwas nicht wissen, dann schlagen wir im Lexikon nach oder suchen Hilfe im Internet. Die kleinen Kinder, die ja diese Möglichkeiten nicht haben, wenden sich in erster Linie an die Person, der sie vertrauen. Und wer ein- oder mehrmals, auf eine dringende Frage hin, abgewimmelt oder vertröstet wurde, sucht sich andere Wissensquellen.

Dazu gehören auch Fragen, die in unserer Gesellschaft gerne taburisiert werden. Zum Beispiel, wie aus einem Schwein die Bockwurst auf meinem Teller wurde. Ich finde es wichtig, daß Kinder wissen, daß dafür ein Tier absichtlich getötet wurde. Und das sie Respekt vor dem Tier haben, so wie sie jedes Leben achten sollen. Gerade in unserer ach so zivilisierten Gesellschaft habe ich den Eindruck, die Kids denken alle, der BigMäc wächst an Bäumen. Es ist keine 100 Jahre her, da gab es das Suppenhuhn nur lebendig auf dem Markt zu kaufen. Den Rest durfte man dann selber zu hause erledigen und damit sind die Kinder auch aufgewachsen. Man stelle sich nur einmal vor, die Kids müßten sich ihre nächste Portion "Chickenwings" selber basteln. Wieviele Hühner bräuchte man?

Vor einigen Jahren fragte mich Junior, was mit unserer Sonne passiert, wenn sie stirbt. Und ich hab es ihm erzählt. Daß die Sonne sich zu einem sogenannten Roten Riesen aufblähen wird und die inneren Planeten von ihr verschluckt werden. Oder es zumindest auf den Planeten verdammt warm wird. Und da wir auch ziemlich nah dran sind...

"Ich will nicht sterben!!!" und ein Haufen Tränen, die die Wangen hinunter kullerten, waren die Folgen.

Damit hatte ich zwar nicht gerechnet, dafür konnten dann die nächsten dringenden Fragen geklärt werden.

Junior saß also vor dem Fernseher. Ich weiß nicht mehr, womit ich beschäftigt war. Beim Zappen mußte Junior etwas aufgeschnappt haben, was ihn nicht mehr los ließ. Er kam jedenfalls plötzlich zu mir und fragte:

"Was ist ein Orgasmus?"

Pfffffff..... Nun ist es kein Problem, seinem Sohn so nebenbei die Funktionsweise eines Viertakt- Motors zu erklären. Und meistens macht man das auch so. Für die existenziellen Fragen nimmt man sich Zeit und sein Kind auf den Schoß. Nicht weil existenzielle Fragen so bedeutsam sind, sondern weil man sich selber erst einmal überlegen muß, was man jetzt eigentlich erzählen soll. Zeit schinden, nennt man das.

Es gibt da diese Was-Ist-Was- Buchreihe und eine Ausgabe beschäftigt sich mit dem Thema, wo die kleinen Kinder herkommen. Ich habe jetzt leider das Exemplar nicht vor mir liegen, aber es ist ziemlich detailliert. Spermium trifft Eizelle, Zellteilung, Embryo etc etc. Wir kennen die Geschichte. Und Junior auch.

Was dort nicht steht, wie kommt das Spermium in die Frau! Ich mag mich irren, aber ich glaube, da steht nur "wenn Papa und Mama sich ganz doll lieb haben" oder so ähnlich. Also habe ich ihm kindgerecht erklärt, warum sein Penis steif wird, was ein Orgasmus ist und wie die Spermien die Eizelle finden.

Junior war begeistert. Als ich nachfragte, was er denn geglaubt hätte, wie die Spermien vom Mann in die Frau kämen, meinte er ganz selbstverständlich:

"Ich dachte immer, die krabbeln so über die Bettdecke..."

Nur gut, daß wir das geklärt haben!

Euer Wotan ;o)




Donnerstag, 5. September 2013

Die Deutsche Rechtschreibung oder wie schreibe ich richtig II

In ersten Teil bin ich bereits auf die Deutsche Schrift und einer ihrer wichtigsten Eigenheiten einge- gangen: Der kleine Buchstabe s. Wir erinnern uns, das deutsche s sieht eigentlich so ſ aus und das kleine runde s wird nur am Ende von Wörtern und Silben verwendet. Es gibt noch kleine Abweichungen von der Regel, aber zu 98 % macht man so nichts falsch.

Wofür eigentlich zwei verschiedene Buchstaben? Ganz einfach, zur besseren Lesbarkeit. Und Jahr- hunderte lang hat es prima funktioniert. Fangen wir mit meinem Lieblingsbespiel an:

Wachstube

Was steht da? Egal was der Leser antwortet, ich behaupte etwas anderes. Wie jetzt? Nun, zum einen könnte die Wach-stube, zum anderen eine Wachs-tube gemeint sein. Schreibt man es richtig mit dem langem s, sind Verwechslungen ausgeschlossen: Wachſtube = Wach-stube und eben die Wachstube = Wachs-tube.

Oder die Versendung. Einmal die Verſendung eines Briefes oder das Ende eines Verses in der Lyrik.

Alles klar? Noch ein Beispiel: Kreischen

Na was habt ihr gelesen? Ein lautes Geräusch (Krei-schen) oder einen kleinen Kreis (Kreis-chen)? Mit dem langen s gibt es keine Verwechslungen: Kreiſchen (laut) und Kreischen (klein und rund).

Da im Deutschen das „S-c-h„ grundsätzlich als ʃ (Schule, Schaf, fischen) gesprochen wird, liest man, bei konsequenter Anwendung der Regel, plötzlich die lustigsten Wörter:

schen, Häschen, Röschen oder Radieschen.

Unangenehm nur, wenn aus Herrn Hoeschen ein Herr Hoes-chen wird oder aus Frau Röschen ein Fräulein Rös-chen. Geschmunzel im Wartezimmer. Richtig geschrieben, gäbe es keine Verwechslungen.
Herr Hoeſchen, Frau Röſchen.

Ein kleines Wort hätte ich hier beinahe vergessen: bißchen. Jaja, ich weiß, das schreibt man doch ganz anders. Früher hatte dieses kleine Wörtchen noch Biss. Ich meine Biſs. Biß. Das ß ist ja die Ligatur für ſs. Und jetzt?

bisschen

bischen? bis-schen? So ging es mir tatsächlich, als ich das Wort zum ersten mal nach der Rechtschreib- reform in einem Text las. Einen Moment lang war ich ziemlich ratlos. Früher wäre das nie passiert, auch ohne ß nicht. Da konnte man es nämlich auch so schreiben: biſschen. Und da jeder wußte, daß das runde s nur am Wort- und Silbenende steht, wurde es auch richtig gelesen.

Ja, früher wußten das alle. In meinem Duden von 1987 ist im Leitfaden 43 - 45 noch genau vorgeschrieben, daß bei Verwendung der deutschen oder gebrochenen Schrift ſ und s zu verwenden sind, und auch wie. Leider wissen das heute nicht mal mehr Schildermaler. Und das finde ich peinlich, vor allem, wenn man durch die Straßen seiner Heimatstadt geht und solche Sachen sehen muß:
Schloßberg
Große Schloßgaſſe
 
Klausſtraße

Oleariusſtraße
Nikolaiſtraße

Kleinſchmieden
Ulrichſtraße



Jägergaſſe

So ſchön hätte es ausſehen können:

Intereſſant iſt dieſes Beiſpiel:
Wo iſt das „ſ“???

50 m weiter iſt das zu leſen! Fehlen nur noch die Ligaturen!
 
 
Noch peinlicher, wenn Firmen wie Stempel-Wolf ſo ihre Produkte bewerben:
Straßenschild aus Emaille Gutenbergstraße
Gutenbergs Tasse?
Wem es nicht aufgefallen ist, eine Straße ist hier nicht gemeint.

Oder fotolia ſo etwas anbietet:
Deutschland Straßenschild
Dazu fällt mir echt nichts mehr ein...
Oder auf der Webſeite des BSV-Saar e.V.


Drei Strassenschilder mit schlechter und optimaler Gestaltung
König Splatz?
Hier findet man zur Abwechslung eine langes ſ am falſchen Platz.
So möchte ich, auch als Nichtſehbehinderter, das Schild nicht ſehen.
  
Zum Schluß noch etwas anderes: 

http://de.academic.ru/pictures/dewiki/83/Stra%C3%9Fenschild-Versal-%C3%9F.jpg
Ein ß hat zwiſchen Großbuchſtaben nun gar nichts zu ſuchen.

Ich bin mir ſicher Euer nächſter Stadtbummel wird intereſſant. Viel Spaß beim Fehler finden
.

Wäre hier jetzt noch ein neues „altdeutſches“ Schild mit falſchem s geweſen...Mannomann!

Wer noch mehr über unſere Schrift erfahren möchte, dem empfehle ich den
 
Wem das nicht reicht, der kann ſich auf Ligafaktur.de koſtenlos die paſſenden Schriften für ſeinen PC und kleine Hilfsprogramme, wie das von mir gerade verwendete für ſ und Ligaturen, herunterladen.

Euer Wotan ;o)

P.S. Ich habe die Firma Stempel-Wolf kontaktiert und auf meinen Beitrag zur Verwendung der Deutschen Schrift hingewiesen.

P.P.S. Stempel-Wolf ist es anscheinend egal (kein Kommentar bis dato). Nun denn, ich habe ein Paradebeispiel und meine Leser ihren Spaß ;o)

Dienstag, 3. September 2013

Die Deuſtsche Rechtſchreibung oder wie ſchreibe ich richtig I

Gleich nach der Veröffentlichung meines letzten Artikels über den Roten Turm erntete ich Lob und Kritik. Kritik vor allem, weil ich konſequent die Neue Deutſche Rechtſchreibung mißachte.

“Daß und muß ſchreibt man mit ss„ durfte ich mich belehren laſſen. So wird es unſeren Kindern ſeit Durchſetzung der letzten Rechtſchreibreform in der Schule beigebracht. Und Verlage und verſchiedenſte Inſtitutionen haben an der Verbreitung der neuen Regelungen tatkräftig mitgewirkt, und ſich eine goldene Naſe verdient.

Eines möchte ich an dieſer Stelle klarſtellen:
Es gibt kein Geſetz, das uns vorſchreibt, wie wir zu ſchreiben haben! Geſetzlich geregelt iſt nur die Amtsſprache. Jeder in unſerer Republik kann ſprechen und auch ſchreiben, wie er möchte. Die Bayern oder Schwaben bſpw. wären ſicher erfreut, wenn ſie Hochdeutſch reden müßten. Die amtlichen Vorgaben der Kultusministerkonferenz zur Neuen Rechtſchreibung gelten nur für den Öffentlichen Dienſt. Der Rat für deutſche Rechtſchreibung gibt die Empfehlungen heraus, wie der Deutſche ſchreiben ſollte.

Wie ſinnlos die Reform war, machen neuere Empfehlungen deutlich. So bleibt es bei eingedeutſchten Fremdwörtern jedem ſelbſt überlaſſen, wie er ſie ſchreiben will. Für mich ein Trend dahin zurück, wie es Millionen von Internet- und Mobilfunknutzern leider praktizieren, ſo zu ſchreiben wie man ſpricht.
Auch die Empfehlungen zur Schreibung von zuſammengeſetzten Wörten mit drei gleichen Buchſtaben hat ſich geändert. Sollte man bſpw. Kaffeeerſatz ſchreiben, heißt es heute wieder Kaffee- Erſatz. Dreifachvokale oder konſonanten ſtellen für mich keineswegs eine Vereinfachung der Schreibweiſen dar, neben der Vereinheitlichung ein erklärtes Ziel der Reformer. Der Vorwand der Vereinheitlichung iſt genauſo ein Witz, ſchließlich haben wir doch alle daß und Schiffahrt geſchrieben.

Mein geliebtes ß. Das ß iſt eine Ligatur. Ligaturen werden im mechaniſchen Druckverfahren verwendet, um dem Setzer die Arbeit zu vereinfachen. Das heißt, für häufige wiederkehrende Buchſtabenkombi- nationen wurde eine Type hergeſtellt. Für ſch mußten nicht mehr drei Lettern in den Setzkaſten für die Buchſeite geſetzt werden, ſondern nur noch eine. Und weil das ſo klaſſe war, haben die das mit ſt, tz, ſſ, ff, ck, ch und vielen anderen gemacht. Darum durften wir auch nie ſt trennen, der Schriftſetzer hat das Trennungszeichen neben die Ligatur geſetzt. Wer meinen Poſt genauer betrachtet, ſieht, daß ich hier ebenfalls Ligaturen verwende.

Und woher kommt nun das ß? Das iſt die Ligatur für ſs.

Dem Leſer oder der Leſerin iſt wohl kaum entgangen, daß ich neben dem lateiniſchen s auch dieſes ſ verwende. Ein ſogenanntes langes s, oder sprachwissenschaftlich, eine stellungsbedingte allographische Variante des Graphems „s“. Danke Wikipedia! :o) Das lange s kommt aus der Deutſchen Schrift, auch als Frakur oder gebrochene Schrit bezeichnet, und iſt der Standartbuchſtabe für s. Das kleine lateiniſche s wird ausſchließlich am Ende von Silben oder Wörtern verwendet. Verzichte ich auf die Ligatur ß, ſieht es ſo aus: Fluſs, daſs, muſs.

ß heißt nichts weiter als ss. Wo ſchreibe ich dann bitteſchön etwas falſch, wenn ich das ß benutze und richtig einſetze?

Die Rechtſchreibreformer haben aus einer Ligatur ein Suprasegmentalia gemacht. Ein Lautzeichen, um dem Leſer daraufhinzuweiſen, daß der Vokal davor lang geſprochen werden muß. Seltſamerweiſe folgt ſs häufiger auf einen kurz geſprochenen Konſonaten. Der Leſer kann es gern überprüfen, indem er meinen Artikel noch einmal lieſt. Wörter wie Ruß oder Fuß tauchen im üblichen Schriftverkehr eher ſeltener auf. Man ſoll gezwungen werden, ſich nach und nach vom ß zu verabſchieden.

Das iſt nichts Neues. Bereits 1915 forderte Duden, daß „die mehrfach versuchte Anwendung eines langen ſ in lateinischer Schrift für das ſ in der deutschen Schrift unzulässig ist.“ Woraus folgt, daß auch das ß unzuläſſig iſt, da es ja ein Ligatur für ſs iſt.

Alſo dann bitte ganz abſchaffen. Das brachte die Rechtſchreibreformer allerdings in die Zwickmühle, daß wieder nicht zu unterſcheiden war, ob der Vokal vor ss nun lang oder kurz geſprochen wird. Alſo mußte das ß wieder her, als phonetiſches Zeichen.

Cui bono? Ich brings mal auf den Punkt, auch auf die Gefahr hin mir heftige Kritiken einzuhandeln. Ich kenne niemanden, der vorher mit dem ß Probleme hatte oder nicht wußte, wie Fuß oder Guß ausgeſprochen wird. So manch ausländiſcher Beſucher ohne ausreichende Sprachkenntnis vielleicht ſchon. Und den Kindern, die mit ihren Eltern aus der Fremde zu uns gezogen ſind und unſere Schulen beſuchen, fällt die deutſche Sprache und Schrift ſicher alles andere als leicht. Ich hoffe ſehr, daß ihnen mit der Rechtſchreibreform geholfen wurde.

Deutſchland hat ſeine Sprache für die Welt leichter lesbar gemacht. Ich wünſche, die Franzoſen würden ſich an uns mal ein Beiſpiel nehmen.

Euer Wotan ;o)

Montag, 2. September 2013

Im Roten Turm zu Halle (Saale)

Schon im letzten Jahr hatte mich mein mittlerweile siebenjähriger Sohn gebettelt, mal den Roten Turm zu besichtigen. Früher waren Besichtigungen im Turm unmöglich, aber nach umfassenden Restaurierungsarbeiten in den letzten Jahren findet täglich, nach Voranmeldung, eine Führung statt.

Blick von den Hausmannstürmen
Wie schon der Überschrift zu entnehmen, handelt es sich um den Roten Turm in Halle an der Saale.
Er bildet, zusammen mit den vier Türmen der Marktkirche, das Wahrzeichen der Stadt: die fünf Türme. Erbaut hatte sich dieses einzigartige Prachtstück der Baukunst die hallesche Bürgerschaft, als Glockenturm „zur Ehre Gottes und der Stadt Halle wie der ganzen Umgebung zur Zierde“. Halle war in dieser Zeit selbstständig und auf dem Höhepunkt von Macht und Reichtum.
Grundsteinlegung war 1418. Allerdings wurden die Bauarbeiten mehrmals für Jahre unterbrochen und zogen sich bis zur Vollendung im Jahre 1506 über 90 Jahre hin. Schuld daran war unter anderem, daß Halle seine Unabhängigkeit verlor. Den genauen Umständen widme ich vielleicht später mal einen eigenen Post. Dazu nur soviel: Erzbischof Ernst II. von Sachsen eroberte Halle und machte es zu seiner Residenzstadt. Damit die Hallenser nicht auf dumme Gedanken kommen, errichtete er ab 1478 die Moritzburg. Dafür wurden natürlich Bauarbeiter benötigt, die von den Arbeiten am Roten Turm abgezogen wurden. Zur Zwingburg selber vielleicht auch später mal etwas von mir, bis dahin kann sich der interessierte Leser über die Links zur Wikipedia weiterbilden.

Der Turm selber ist 85 m hoch, steht auf einer Grundfläche von 9,5 mal 15 Metern und beherbergt mit 76 Glocken das zweitgrößte Glockenspiel (Carillon) der Welt. Übertroffen wird es nur von den Carillons im Tower of the Apostles Kirk in Bloomfield Hills, Michigan, USA und im Turm des Hyechon Colleges in Daejeon, Südkorea, beide mit 77 Glocken. Zählt man allerdings noch die großen Glocken für den Uhrenschlag dazu, kommen wir auf 81 Glocken.

Wie der Rote Turm zu seinem Namen kam, ist bis heute unklar. So soll es einen Vorgängerbau mit gleichem Namen gegeben haben, der Name auf das Rot des Kupferdaches oder gar auf einen Baumeister Rode zurück zuführen sein. Nach der Fertigstellung war es einfach der Neue Turm. Erst über einhundert Jahre später taucht die Bezeichnung Roter Turm auf, was gegen obige Thesen spricht. Das rote Dach bspw. dürfte da längst schon grün gewesen sein. Auch Recht wurde, wie in deutschen Landen üblich, unter freiem Himmel gesprochen und am Roten Turm so manches Todesurteil verhängt. So soll der Name auf das Blutgericht hindeuten. Allerdings wurden die Todesurteile vor den Toren der Stadt vollstreckt. Der Galgen und der Rabenstein standen vor dem Galgtor, ungefähr da wo heute das Hotel Maritim am Riebeckplatz steht. Auf Ansichten des Marktplatzes aus dem 18. Jahrhundert erkennt man zwar einen Galgen und ein sogenanntes Spanisches Pferd. Aber diese dienten wahrscheinlich der Bestrafung von Soldaten. Halle ist seit 1680 preussisch und war bis 2006 Garnisionsstadt. Wieso also Roter Turm? Wir wissen einfach nicht. Q.E.Q.N.

Im April 1945 stand die 104. Infanteriedivision der Amerikaner, die "Timberwolves", vor den Toren der Stadt. Für Halle endete der 2. Weltkrieg am 19. April 1945. Trotz der über 500 Fliegeralarme im Laufe des Krieges, gab es nur wenige schwerwiegende Luftangriffe. Den schlimmsten am Ostersamstag 1945 mit über 1000 Opfern. Der oben erwähnte Riebeckplatz wurde dabei völlig zerstört. Die Altstadt selber wurde weitestgehend verschont. Einzige prominente Opfer waren leider das Alte Rathaus und das angrenzende Waagegebäude. Der Rote Turm überstand den ganzen Krieg unbeschadet. Fast. Am 15. April 1945 begann die Belagerung der Stadt Halle und eine amerikanische Artillerieeinheit kam auf die Idee, dem Gegner ein paar Grüße zu senden. Da bot das höchste Gebäude der Stadt natürlich ein ideales Ziel. Vier Tage vor Kriegsende, jedenfalls für meine Stadt, traf eine amerikanische Granate den 40 m hohen Turmhelm. Der Rote Turm brannte daraufhin völlig aus. Eine, durch Spenden finanzierte, Bauhütte reparierte den Turm in den Nachkriegsjahren. Einen Turmhelm bekam er aber erst gut 30 Jahre nach Kriegsende im Jahre 1976 wieder. Das Carillon wurde 1993 feierlich eingeweiht.

Soweit mein kurzer Ausflug in die Geschichte.
Die Hausmannstürme der Marktkirche

An einem sonnigen Samstagnachmittag, vor so ziemlich genau einem Jahr, erklommen mein Sohn und ich die Stufen der Hausmannstürme der Marktkirche und genossen die herrliche Aussicht über unsere Heimatstadt. Die Hausmannstürme werden in luftiger Höhe von einer Brücke verbunden und waren in vergangenen Zeiten die Wohnung des Türmers und seiner Familie. Gerade jetzt muß ich wieder an die armen zahlreichen Kinder denken, die täglich die Stufen runter und wieder hoch mußten. Allein um die Schule besuchen zu können. Ich war an diesem Tag zweimal richtig glücklich: das erste Mal, daß ich es nach oben geschafft habe und das zweite Mal, als ich wieder unten auf dem Markt stand. Ich bin aufgrund kaputter Knie leider alles andere als gut zu Fuß, dafür wohlgenährt und von katastrophaler Konstitution. Während ich nach erfolgreicher Turmbe-steigung schnaufte und dampfte wie eine alte Lok, sah Junior sich begeistert nach einer neuen Herausforderung um - und wurde sofort fündig. Das einzige Gebäude, welches trotzig den Blick nach Osten verwehrt, ist unser Roter Turm."Da will ich auch hoch!" Ich dachte nur 'Ja...irgendwann, aber zum Glück nicht mehr heute' und sagte zu meinem Sohn: "Das machen wir! Wenn es geht." Zu diesem Zeitpunkt wußte ich noch nicht, daß es mittlerweile möglich war den Roten Turm zu besichtigen. "Das geht! Jeden Tag ist 17 Uhr eine Führung möglich..." hörte ich die Stimme der jungen Frau hinter mir, welche oben in den Türmen als Besucheraufsicht angestellt war und unser Vater-Sohn-Gespräch gehört hatte. Junior war sofort Feuer und Flamme und ich dachte im Moment nur: 'Noch mehr Treppen?' Der Aufstieg zu den Hausmannstürmen war schon nicht witzig. Die erste Treppe am Fuß des Eingangsturms ist so eng und niedrig, daß ich mit 1,90 m Größe geradeso durchgepaßt habe. Und dann endlose Wendeltreppen... Der Rückweg durch den zweiten Turm war glücklicherweise, durch eine neue Treppenkonstruktion mit breiten Stufen, deutlich angenehmer. Jedenfalls stand ich jetzt in der Pflicht mit meinem Sohn den Roten Turm zu besichtigen. Vorerst hatte ich jedoch genug Gelegenheit Zeit zu schinden. Es wurde Herbst und die Tage wurden kürzer und kälter. Durchaus plausible Gründe an einer Führung, welche erst am späten Nachmittag stattfindet, nicht teilzunehmen. Junior erinnerte mich nämlich jedes Mal, wenn wir auf dem Markt waren, daran, daß wir doch mal den Roten Turm besichtigen wollten.


Vor vier Wochen war es endlich soweit. Die Karten hatte ich Tage vorher gekauft und wieder an einem sonnigen Samstagnachmittag standen wir auf dem Marktplatz und warteten auf den Rest der Besichtigungsgruppe. Pech war eigentlich nur, vorallem für die teilnehmenden Nichthallenser, daß an diesem Tag zu Füßen der Fünf Türme eine Beachvolleyballturnier stattfand. Das heißt, man hatte zu diesem Zweck tonnenweise feinsten Sand für mehrere Spielfelder, eine Tribüne für zahlreiche Zuschauer und eine leistungsstarke Soundanlage herangeschafft. Ich bin mir sicher, die Musik und Sprecherkommentare waren in gut 3 km- Umkreis zu hören. Vom Glockenspiel des Roten Turms hörte man unten jedenfalls nichts mehr.

Pünktlich 17 Uhr ging es dann los. Die neue Tür wurde aufgeschlossen und der Aufstieg begann.
Neue Tür? Der ursprüngliche Zugang liegt 4,5 m höher. Im Zuge der umfassenden Turmrestaurierung wurde ein neuer Eingang auf Platzniveau mit hervorragender Wendeltreppe im Turm geschaffen. Hervorragend zumindest bis zur ersten Etage. Der Turm hat im Quaderförmigen Sockelbereich 4 m starke Mauern. Eigentlich genug Platz für ein halbwegs vernünftiges Treppenhaus, ohne sich um die Statik des Gebäudes Sorgen machen zu müssen. Sollte man meinen. Die Erbauer sahen das sichtlich anders und schienen zudem von unterdurchschnittlich kleinem Wuchs gewesen zu sein. Wovon nicht nur Höhe und Breite der Wendeltreppe, sondern auch die extrem schmalen Stufen Zeugnis ablegten. Schon nach den ersten Metern, dachte ich mit Grauen an den Abstieg. Denn hoch kommt man bekanntlich immer leichter als runter. Manche mögen das anders sehen, ich nicht. Je höher es ging, umso lichter wurden die Räumlichkeiten und das Wendeltreppengehäuse immer enger.


Zu sehen gibt es im Sockelbereich nicht viel. Im ersten Raum sind die Originale der Potraitbüsen aus dem oberen westlichen Maßwerkfenster und Abgüsse der Fabelwesen am Turm und oberen Gurtsims ausgestellt. Der Raum hat ein doppeltes Kreuzgratgewölbe. Wenn ich mich richtig erinnere, sprach unsere Führerin davon, daß der Raum als Kapelle genutzt wurde. Der Sinn erschließt sich mir gerade nicht. Erstens ist nebenan die Marienkirche und zweitens hatte das Alte Rathaus seine eigene Kapelle.

Dieser Raum und der darüber haben ca. 1 m² große Deckendurchbrüche. Über deren Sinn streiten sich noch die Experten. Beim Schreiben dieses Artikels ging mir jedenfalls ein Licht auf. Für mich gäbe es, angesichts des katastrophalen Aufstiegs, nur einen einzigen Grund, wieso man früher Löcher in die Decken gehauen hat. Um lange Glockenseile anzubringen und sich so den mühevollen Aufstieg zu ersparen. Ich weiß nicht, ob damals auch schon viertelstündlich geläutet wurde, aber wenn ja, dann erhärtet das nur meine Vermutung. Vielleicht treffe ich demnächst mal einen dieser Experten, dann werde ich meine Vermutung teilen. Sollte sogar einer dies hier lesen, bitte ich dringend um ein Feedback. Bis dahin klettern wir weiter nach oben.

Der zweite Raum ist sozusagen leer. Im Fußboden ein Durchbruch und in der Decke mit Tonnengewölbe ebenfalls. Weiter die Wendeltreppe hinauf. Jetzt gelangt man in das erste Geschoß des Oktagons. Darunter gibt es im Sockelquader noch einen Raum von geringer Deckenhöhe, aber dieser war uns nicht zugänglich. Dafür klettert man in diesem Bereich teilweise durch völlige Finsternis. Und gelangt in einen Saal. Der Raum ist beinahe so groß wie der gesamte oktagonale Aufbau und die gotischen Maßwerkfenster lassen ihn mit Licht durchfluten. Einem Christen muß der Aufstieg hierher, im Vergleich zu den engen dunklen Gewölben darunter, wie eine Himmelfahrt vorkommen.

Die eisernen Gedenkglocken
Mitten im Raum hängen zwei große Glocken aus Eisen. Bei dem verheerenden Brand 1945 sind zwei Glocken im Feuersturm geschmolzen. Diese hatte man später im Gedenken an dieses Ereignis aus Eisen nachgegossen und hier aufgehängt. Entsprechende Inschtriften an den Glocken erinnern daran. An den Wänden des Saales gibt es zahlreiche in Stein geritzte und gemeißelte Grafiti. Den Jahreszahlen und der teilweisen Qualität nach zu schließen, sind die meisten von Arbeitern und Steinmetzen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit und den 1970er Jahren.

Obwohl die Räume des Oktagons so groß sind, befindet sich die Treppe nach oben trotzdem in der Wand, noch enger und kleiner. Wir wendeln uns weiter. Falsch, ich krabbele mittlerweile auf allen Vieren und verfluche die Architekten. Die Stufen sind so schmal und die Treppe entsprechend steil, daß es sich fast schon um eine Wendelleiter handelt. Und da muß ich nachher wieder runter, schießt es mir wieder durch den Kopf. Worauf hab ich mich hier eingelassen? Ich könnte heulen. Auch vor Schmerzen, einen Moment lang machen mir meine Knie fast einen Strich durch den Aufstieg. Sinnlos zu erwähnen, daß ich immer als Letzter ankomme.

Geschafft! Da hängen sie, die riesigen Glocken der Uhr. Die größte Glocke ist die Dame Händel. Ausgerechnet jetzt, läßt mich mein hervorragendes Smartphone im Stich. Die letzte Aufnahme mit meinem Sohn vor den Glocken ist auch noch total unscharf. Glücklicherweise hat ein Vorgänger von mir ein Video auf youtube hochgeladen ----->

Über den Glocken befindet sich das Carillon, von dem ich leider nichts gesehen habe. Alle anderen Besucher waren schon oben, als ich ankam. Und in dem Moment, da ich die Stufen hochwollte, kam mir auch schon der Erste wieder entgegen. Ergo mußte ich kehrt machen. Junior kam dann auch schon wieder. Da unsere Gruppe nur sehr klein war (zwei junge Frauen, ein älterer Herr, eine junge dreiköpfige Familie aus Leipzig und wir zwei) und da noch etwas Zeit war, durften wir ausnahmsweise unter den Glocken hindurch zur gegenüberliegenden Wendeltreppe in den Turmhelm steigen.

Zeit ist hier übrigens sehr wichtig! Wir befinden uns im Glockenstuhl. Der Aufstieg begann mit dem letzten Schlag der fünften Stunde. Der Rote Turm verfügt über einen Original-Westminsterschlag, Big Ben in Halle! Jede Viertelstunde das berühmte DingDangDingDong und immer ein Stück länger bis zur vollen Stunde. Dann ertönt fünf vor um das Carillon mit einer Melodie und dann der Westminsterschlag gefolgt von den Stundenschlägen. Da möchte man nicht neben den großen Glocken stehen.


Eine gute halbe Stunde hatten wir bis hierher gebraucht. Nun kletterte ich, meinem Sohn folgend, eine noch winzigere Wendelleiter nach oben. Wieder in der Wand! Ich faß es nicht, hier ist doch soviel Platz!? Im Moment können die Baumeister froh sein, DASS sie schon tot sind. Und wofür, für einen dreckigen Dachboden. Gut, man kann da aus einem der vier Ecktürmchen des Turmhelms blicken, aber sonst. Halt, da war doch noch was. Eigentlich kann man nur aus drei der Türmchen sehen. Als ich Junior gerade erzählen will warum, ist der schon wieder eine Etage unter mir. Dafür ist der junge Mann aus Leipzig noch da, dem ich es dann erzähle: Im Südosttürmchen befindet sich ein großer Holzkasten. Der wurde vor einigen Jahren installiert und dient als Wohnung und Nistkasten für Turmfalken. Diese kann man manchmal beobachten, wenn sie über dem Markt kreisen.

Wie gesagt, Dachboden eben.


Nun aber hinunter, gleich schlägt es Viertel vor um. Und dann passierts, ich stecke in der Mauer und neben mir das berühmte DingDangDingDongDingDingDangDong. Die Gruppe ist mindestens schon eine Etage tiefer. Da der nette Leipziger noch Fotos machen will, bin ich diesmal nicht der Letzte. Dafür gehts diesmal rückwärts auf allen Vieren hinab, sicher ist sicher. Bedingt durch die Tatsache, daß man dieses Mal keine Zwischenstopps einlegt, kommt einem der Abstieg endlos vor. Um so größer ist die Freude, wenn man die neue Treppe am Ende erreicht. Wenigstens am Schluß eine Treppe mit Würde hinab schreiten. Nachdem wir alle wieder versammelt sind, drehen wir noch eine Runde um den Turm und verabschieden uns dann. Ich setze mich auf eine Bank und möchte gar nicht mehr aufstehen.

Mein Sohn möchte irgendwann nochmal da hoch.

Und Ich? Ich weiß ganz genau, was ich in diesem Leben NICHT noch einmal mache!

Euer Wotan ;o)